Bücher von Jennifer Hetzel
Schlaganfall, Demenz oder Herzinfarkt, eine gebrochene Hand, ein Leistenbruch oder Darmkrebs. Wie erklärt man all das einem Kind? Diese Frage hat auch die Logopädin Jennifer Hetzel beschäftigt. Und die 40-Jährige hat einen Weg gefunden, solche Tabu-Themen kindgerecht zu vermitteln: Sie textet und illustriert Bücher, in denen Krankheiten so erklärt werden, dass sie auch die Jüngsten verstehen.
Ihre Protagonisten sind kleine und große Bären. Beraten wird sie bei ihrer Arbeit von Ärzten. Die Verantwortlichen der Krankenhäuser in Weiden und Neustadt nutzen die Bilderbücher im Format DIN A5 bereits in der täglichen Praxis und haben gute Erfahrungen damit gemacht. Mehrere Krankenhäuser und Kliniken beziehen die Bilderbücher in ihre Tagesarbeit mit entsprechend Erkrankten ein. Die kreative Logopädin liebt auch die Natur. Mit professioneller Ausrüstung zieht Hetzel gerne im Wiesengrund los und zaubert aus ihren Bildern dann postkartenreife Ansichten.
Unser Mitarbeiter Josh Reuter hat mit Hetzel, die aus Siegelsdorf stammt und mittlerweile in Obermichelbach wohnt, über ihre kreative Schreiberei, die damit verbundenen Ziele und die Ängste der Kinder vor Krankheiten gesprochen.
Wie ist die Idee zu dieser Art Buch entstanden? Hetzel: „Die Idee vertiefte sich durch ein Gespräch mit einer Familie, in der die Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte. Sie erzählte, dass es nicht einfach sei, Kindern eine Krankheit so zu erklären, dass man ihnen ihre Ängste nimmt und keine neuen aufbaut. Sie fühlte sich sehr unsicher, ob und wie sie mit dem Kind darüber sprechen sollte. Da war mir klar, dass ich mit einem kindgerechten Büchlein die Kommunikation erleichtern möchte.“
Warum ist ein Bär der Protagonist? „Weil die meisten Menschen einen positiven und persönlichen Kindheitsbezug zu einem Stofftier-Bären haben oder hatten, weil Bären Stärke ausstrahlen und gleichzeitig kuschelig und lieb wirken. Sie vermitteln als Sympathieträger Kraft und Geborgenheit. Also genau das, was in Krisensituationen wichtig ist.“
Was ist Ihnen bei den Illustrationen wichtig?„Dass sie kindgerecht sind, aber dennoch nicht zu sehr vereinfacht werden. Dass sie informativ sind, auch für Erwachsene, aber nicht zu detailliert. Und, dass sie durch die Art der Darstellung die Auseinandersetzung mit einem medizinischen Thema erleichtern.“
Wie würden Sie Ihre Art zu illustrieren beschreiben?
„Schön!“ (lacht)
Zeichnen Sie die Bilder? „Ja, die Illustrationen entstehen am Computer.“
Sind weitere Bände geplant? „Ja, auf jeden Fall.“
Um welche Themen wird es gehen? „Es werden Themen zu Erkrankungen sein, die von Ärzten selbst ausgewählt werden, weil sie zum Beispiel ein Buch in ihrer Praxis oder ihrem Klinikum einsetzen möchten. Wenn ich selbst Themen auswähle, werden es Erkrankungen sein, die die ganze Familie beeinflussen, die schwerwiegend oder tabubehaftet sind, oder die weit verbreitet sind.“
Wird es ein Buch über Corona geben? „Das ist nicht ausgeschlossen, aber aktuell nicht in Planung.“
Wie verpackt man wissenschaftliche/medizinische Fakten in kindgerechte Geschichten? „Ich versuche, mich einfach in ein Kind hineinzuversetzen, dann kommt mir die Art der Sprache ganz von alleine. Als Therapeutin im Medizinbereich fällt mir das nicht schwer.“
Wie stark darf man vereinfachen, ohne dass es zu banal wird? „Wenn man sich als Erwachsener beim Lesen langweilen würde, wäre es mir persönlich zu banal. Ich möchte zwar sensibel und kindgerecht darstellen und beschreiben, aber meine Bücher sollen schon fundierte Informationen geben, sodass auch Erwachsene den ein oder anderen ‚Aha-Effekt‘ beim Lesen haben.“
Werden Sie bei der Umsetzung von Medizinern beraten? „Ja, das ist aus meiner Sicht unverzichtbar.“
Wie entsteht eines ihrer Bücher? „Sehr unterschiedlich. Es gibt Bücher, die ich komplett abschließe und final einen Mediziner Korrektur lesen lasse. Und es gibt Themen, die mit einem Mediziner gemeinsam entwickelt werden. Gerade dann, wenn ein Arzt ein Buch für seine Praxis oder Klinik haben möchte, entsteht dieses in enger Zusammenarbeit.“
Was ist der Zweck der Bücher? „Mein Wunsch bzw. Ziel ist es, mit den Büchern Ängste zu nehmen, Fragen auf sensible Art zu beantworten, eine Erleichterung für ein Gespräch innerhalb der Familie zu schaffen und den Zugang zu medizinischen Themen zu erleichtern.“
Wie reagieren Kinder auf die Bücher? „Eltern berichten mir, dass Kinder die Bücher sehr gerne mögen, viele Fragen stellen und sich die Bücher auch gerne von den Eltern frei nacherzählen lassen. Für Eltern ist das eine große Erleichterung, denn durch das gemeinsame Lesen und/oder das Betrachten der Bilder entwickeln sich ganz von allein Gespräche zur eigenen Situation.“
Für welches Alter sind die Bücher geschrieben? „Wenn die Kinder noch jung sind, sollte der Text von Eltern frei nacherzählt werden, weil er sonst zu lang und ausführlich ist. Ältere Kinder können ihn selbst lesen oder sich vorlesen lassen. Ziel ist aber immer die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema des Buches. Daher wünsche ich mir, dass man sich gemeinsam Zeit nimmt, um durch das Buch in Austausch zu kommen und etwas ganz Persönliches entstehen zu lassen. Ich habe mehrfach Rückmeldungen von Erwachsenen erhalten, dass sie das Buch auch für sich selbst als sehr wertvoll empfunden haben. Inhaltlich geht es ohnehin weit über ein Kinderbuch hinaus. Daher ist es grundsätzlich altersunabhängig!“
Warum fällt es Erwachsenen schwer, über Krankheit zu sprechen? „Viele Erwachsene zeigen einfach lieber nur den Teil von sich, der „funktioniert“ und da gehören Krankheiten nicht dazu.“
Sprechen Kinder auch nicht gerne über Krankheiten? „Ich erlebe Kinder grundsätzlich als sehr offen. Aber da ich weder eigene Kinder habe noch Kinderpsychologin bin, kann ich diese Frage nicht professionell beantworten.“
Welche Ängste haben Kinder in Bezug auf Krankheiten? „Eltern berichten mir, dass es oft grundlegende Ängste sind, wie zum Beispiel: „Muss Mama/Papa jetzt sterben?“ oder „Wird Oma/Opa wieder laufen und mit mir spielen können?“ Hinzu kommen Unsicherheiten und offene Fragen, die Kinder beunruhigen, weil sie Vieles einfach noch nicht abschätzen und verstehen können, weil ihnen die Lebenserfahrung fehlt. Daher versuche ich in meinen Büchern, einen möglichst umfassenden Einblick zu geben, beginnend beim Ereignis der Erkrankung bis hin zu einem positiven Ende.“
Sie schreiben auch „Mutmacher-Fabeln“ – was genau darf man darunter verstehen? „Das sind Geschichten (Fabeln), die eine wichtige Botschaft vermitteln, wie zum Beispiel, dass Äußerlichkeiten nicht entscheidend sind, sondern dass es auf das Herz des Menschen ankommt. Zu diesen Fabeln habe ich Klavierstücke und Lieder komponiert, die ein befreundeter Musiker gerade für Schulklassen arrangiert, so dass Grundschullehrer die Geschichte künftig sowohl für ihren Unterricht, als auch im Rahmen von Schulaufführungen musicalartig nutzen können.“
Auf Ihrer Internetseite bieten Sie auch an, die Bücher zu personalisieren – was genau ist hier möglich? „Damit ist gemeint, dass ich beispielsweise für eine medizinische Praxis oder Klinik Seiten mit deren Kontaktdaten, Öffnungszeiten usw. integrieren kann, sodass das Büchlein individuell zugeschnitten ist.“
Wie genau sind Sie zum Schreiben und Illustrieren gekommen? „Als ich eines nachts nicht schlafen konnte, habe ich mich an den PC gesetzt und morgens war die erste Geschichte fertig. Völlig ungeplant und aus reiner Intuition, angeregt durch das Leben an sich. Das Illustrieren und Komponieren kam, weil ich die Worte durch Bilder und musikalische Stimmungen verstärken, aber zugleich frei von Urheberrechten anderer sein wollte. Daher habe ich dann selbst gezeichnet und komponiert.“
Danke für das aufschlussreiche Gespräch und weiterhin viel Kreativität.
© JOSH 2021