„Ein wenig mehr Demut täte gut “

Bertram Schacher aus Puschendorf ist das, was man einen Tausendsassa nennen könnte. Er ist vielseitig interessiert und engagiert. Seine Ämter und Aufgaben waren und sind abwechslungsreich. So war Schachers Ziel stets, im Kleinen etwas Großes zu gestalten – ob als Kommunalpolitiker, Autor, Vereinsgründer und Vereins­vorsitzender, als Fotograf, Italien­reisender oder überzeugter Demokrat. Nach seinem Debüt, dem Roman „Das Jakoberhaus – Die Deportation Kärntner Slowenen“, legt Schacher nun ein weiteres Werk vor: „Die Farbe Rot – Das Geheimnis der Liebe“. Auch darin geht es um die großen Themen, die den Autor umtreiben: Frieden, Freiheit, Würde. 

Herr Schacher, über welches Thema sprechen Sie am liebsten?
„Es ist die Natur und die Demokratie. Beides will ich nicht trennen. Ich bin als junger Mann über die Naturschutzbewegung zur Politik gekommen. Eine intakte Natur ist da Utopie, wo Menschen leben. Aber unser Ziel muss sein, soweit wie möglich im Einklang mit der Natur zu leben. Die Prozesse, die dazu nötig sind, können am besten in einem lebendigen, diskussionsfreudigen Miteinander erarbeitet werden.“

Im März dieses Jahres, ist – rechtzeitig zum 80. Jahrestag der Aussiedlung der Kärntner Slowenen – Ihr Roman „Das Jakoberhaus – Die Deportation Kärntner Slowenen“ in der 6. Auflage erschienen. Wie sind Sie zum Autor geworden?
„Geschrieben habe ich schon immer gern. Romanautor wurde ich durch Zufall und Neugierde. Das Jakober­haus in Hagenbüchach ist ein beachtliches Bauwerk, das nicht in dieses kleine, früher bäuerliche Dorf zu passen schien. Ich wollte wissen, wer es gebaut hatte und welche Gründe es für diese außergewöhnliche Architektur gab. Dabei stieß ich auf die aus ihrer Heimat verschleppten Kärntner Slowenen, die hier von 1942 bis Ende 1944 eingesperrt waren und auf eine Mauer des Schweigens der örtlichen Zeitzeugen. Ich wollte diesen Menschen hier bei uns Namen und Erinnerung geben. Niemand kann nun mehr sagen: ,Deportation Kärntner Slowenen nach Hagenbüchach?, nie gehört.‘“

Bei Ihren Recherchen haben Sie mit Zeitzeugen gesprochen. Wie war das für Sie?
„Das Erinnerungsvermögen der hiesigen Zeitzeugen fiel einer kollektiven Amnesie zum Opfer. Ein Zustand, der bei Recherchen zum Dritten Reich oft zu beobachten ist. Die Erinnerungen der Deportierten aber bleiben wach bis ans Lebensende. Meine Frau und ich hatten in Kärnten zutiefst bewegende Begegnungen. Wenn alte Männer beim Erzählen von der damaligen Zeit in Tränen ausbrechen, dann macht das etwas mit einem. Mich haben diese Schicksale betroffen gemacht. Ich war bedrückt und sehr aufgewühlt. Die Deportation hat bei vielen der Kärntner Slowenen unfreiwillig den Lebensweg geändert. Wir haben mit einem Mann geredet, der bis zu seinem Lebensende traumatisiert war.“ 

„Das Jakoberhaus“ wurde vor fünf Jahren erstmals veröffentlicht. Wie hat sich die „Reise“ dieses ­Buches seitdem gestaltet?
„Die Resonanz war erstaunlich groß. In Kärnten größer als bei uns. Aber auch hier waren meine Lesungen ausgebucht. An Schulen in Herzogen­aurach und Langenzenn durfte ich mit Schülerinnen und Schülern darüber reden. Das halte ich für besonders wichtig, weil hier der Geschichtsunterricht ein Stück weit lebendiger wird. Mein Buch ist ja nun kein Liebes- oder Kriminalroman, sondern erzählt auch von Gewalt und Tod. Mitunter von unerträglichem Leid. Aber es ist passiert. Genauso, wie ich es be-
schreibe. Ich durfte in unzäh­ligen Gesprächen neue Menschen kennenlernen. Das, die Lesungen und die öffentliche Aufmerksamkeit haben mir gezeigt, dass jeder einen Beitrag leisten kann, die Welt ein wenig friedlicher zu machen. Auch wenn es jetzt gerade nicht danach aussieht.“

Ist ein neues Buchprojekt geplant?
„Mein neuer Roman ,Die Farbe Rot – Das Geheimnis der Liebe‘ hat die ISBN: 978-3-75621-413-6 und steht kurz vor der Veröffentlichung. Durch den Krieg in der Ukraine hat er eine dramatische Aktualität erhalten. So viel sei verraten: Es geht um einen jungen Entwicklungshelfer, der nach der Ermordung seiner großen Liebe durch südafrikanische Spezialeinheiten in Botsuana Mitte der 80er Jahre beschließt, Kriegsberichterstatter zu werden. Er erlebt die Gräueltaten in Ruanda, Afghanistan und Syrien. Schonungslos erkennt er, dass es neben den vielen Menschen immer auch die Wahrheit ist, die zuerst stirbt. Kritisch hinterfragt er, ob es die eine Wahrheit überhaupt geben kann und erkennt die Mechanismen, die es braucht, um Menschen in Kriege ziehen und töten zu lassen.“

Sie sind nicht nur Autor, sondern waren auch 32 Jahre lang Mitglied des Gemeinderates in Puschendorf, davon 12 Jahre lang als zweiter Bürgermeister tätig. Wie sieht Ihre Bilanz dieser Zeit aus?
„Sehr gemischt. In meinen Anfangsjahren hatte der Gemeinderat deutlich mehr Kompetenz als heute. Das hieß, sich in die Themen einarbeiten und kompetent entscheiden. Im Lauf der Jahre wurde durch die Mustergeschäftsordnungen, die die Bayerische Staatsregierung empfahl, den Bürgermeistern immer mehr Kompetenz zugeschanzt. Das war kein Zufall. Politischer Chef im Ring einer Gemeinde ist ja nicht der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin, sondern der Gemeinderat. Das wird meist verkannt. Heute liefert meist der Bürgermeister, die Verwaltung, die Tischvorlagen. Viel häufiger als früher werden Fachbüros beauftragt. Die kosten viel Geld und es verlagert die Verantwortung. Ein Resümee ist auch: Trotz der viel beschworenen Einigkeit zum Wohle des Ganzen, gibt es nach wie vor unnütze Grabenkämpfe, gepflegte Eitelkeiten, alte offene Rechnungen. Das ist sehr schade.“

Ein politisches Ehrenamt auszuüben wird immer unattraktiver. Warum haben Sie das so lange getan?
„Ich weiß nicht, ob es immer unattraktiver wird. Demokratie braucht Menschen, die mitmachen. Mitarbeiten. Denn Arbeit ist damit verbunden, wenn man dieses verantwortungsvolle Amt so ausfüllen will, wie man es im Amtseid geschworen hat. In kleinen Städten und Gemeinden kann der oder die Einzelne ja noch tatsächlich etwas bewirken. Eigene Ideen umzusetzen macht Freude und ist sinnstiftend. Ich habe nach 32 Jahren aufgehört, weil ich eine tolle Nachfolgerin hatte.“

Sie sind Gründer und erster Vorsitzender des Puschendorfer Kulturforums. Was genau ist das Kulturforum?
„Das Puschendorfer Kulturforum wurde gegründet, weil wir die Puschendorfer Ortschronik herausbringen wollten. In den 28 Jahren seines Bestehens veranstalteten wir etliche Musikevents, Kinderkinos und unterstützen weiterhin Projekte im Bereich Friedenspolitik, Umweltschutz und Völkerverständigung. Augenblicklich sind wir vornehmlich im Bereich Mildtätigkeit unterwegs. Deshalb sind wir nicht mehr so laut wie früher. Wenn ich mir aber unsere Projekte ansehe, dann können wir sehr zufrieden sein.“ 

Im Jahr 2017 wurde Ihnen der Verdienstorden der Bundes­republik Deutschland verliehen, ein Jahr zuvor haben Sie die Bürgermedaille Ihrer Heimat­gemeinde erhalten. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?
„Derlei Ehrungen zeigen öffentlich, dass der persönliche Einsatz gewürdigt wird. Aber auch Ehren muss man können. Vor vielen Jahren, am Ende einer Vorstellung unseres Kinderkinos, wir waren ausverkauft, stand ich am Ausgang unseres alten Bürgertreffs, als die Kinder auf mich zuströmten. Ihre Augen leuchteten, ihre Gesichter strahlten. Das war meine schönste und größte Ehrung.“

Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie, dass das Streben nach „Toleranz, Akzeptanz und Respekt“
Ihr steter Begleiter sei. Sind diese Werte in der Gesellschaft verloren gegangen?
„Zumindest lassen diese Tugenden häufig zu wünschen übrig. Wenn in den unteren Klassen der Schulen bereits gemobbt wird. In den sozialen Medien Hass, Lügen und Meinungsmüll verbreitet werden, dann sehe ich das schon mit Sorge. Mir ist natürlich bewusst, dass es das auch früher gab. Im Wirtshaus, in den Familien. Aber durch die neuen Medien findet es große Verbreitung. Das schafft Stimmung und die Gefahr der Manipulation ist deutlich größer. Mir sind diese Tugenden deshalb wichtig, weil sie individuelle Freiräume geben und lassen. In der Gesellschaft fest verankert, sorgten sie für ein friedliches Miteinander. Oder nebeneinander. Aber immerhin.“

Sie leben und wirken seit Jahr­zehnten in Puschendorf, das Ihre Heimat ist. Was bedeutet Ihnen Heimat?
„Heimat bedeutet mir sehr viel. Heimat ist für mich tatsächlich das Stück Erde, auf dem ich lebe. Wo meine Familie ist, meine Freundinnen und Freunde. Was Heimat von denen braucht, die Heimat als Heimat bezeichnen? Vielleicht Toleranz, Akzeptanz und Respekt.“ 

Ein „Motto“ von Ihnen ist: „Jeder Mensch soll frei sein!“ Was bedeutet Freiheit für Sie ganz persönlich?
„Mir war es schon immer wichtig, das, was mich betrifft, selbst entscheiden zu können. Deswegen habe ich wohl auch den Weg in die berufliche Selbstständigkeit gewählt. Ich will frei und ohne Angst meine Meinung sagen und meine Gefühle zeigen können.“

Sie sagen, einer Ihrer Lehrmeister sei die Natur. Was haben Sie von ihr gelernt?
„Die Menschen fokus­sieren sich auf sich. Wir sehen nur die Teilbereiche unseres Lebens und haben verlernt, das Ganze zu sehen. Früher, als die Menschen mit der Natur lebten, ging man im Rhythmus mit ihr, erkannte den immerwährenden Kreislauf. Von der Geburt bis zum Tod. Das alles seinen Platz hat, alles wachsen darf wie es möchte, alles seinen Sinn hat. Unkräuter waren noch Heilkräuter, krumme Bäume durften neben geraden wachsen. All das kann man auf die Menschheit übertragen. Dass es einen paradie­sischen Zustand nicht gibt, weiß ich, aber ein wenig mehr Demut täte gut.“

WARUM DIESES BUCH ENTSTAND

Das sogenannte „Jakoberhaus“ steht in Hagenbüch­ach im Landkreis Neustadt/Aisch. Hagen­büchach ist eine kleine Gemeinde mit jetzt 1.300 Einwohnern und das Jakoberhaus ein schlossähnliches, stolzes Gebäude. Es passt also eigentlich nicht in ein ländlich geprägtes Örtchen und schon gar nicht in ein bäuerliches Dorf Anfang des 20. Jahrhunderts.

Auf der Spurensuche nach den Gründen dieser außergewöhnlichen Standortwahl stieß der Autor Bertram Schacher auf die Deportation von circa 100 Kärntner Slowenen, die 1942/43 dort interniert und zum Arbeitsdienst gezwungen wurden. Nicht nur bei hiesigen Historikern, sondern auch bei den Einwohnern Hagenbüch­achs stieß der Autor auf großes Nicht­wissen bzw. Nichtwissenwollen – aus den unter­schiedlichsten Gründen. 

Er entschied sich für die Romanform, um möglichst viele Leserinnen und Leser zu erreichen, hat jedoch alle historischen Begebenheiten penibel recherchiert. Das Buch befasst sich jedoch nicht nur mit der Deportation von Menschen im 2. Weltkrieg, sondern beschäftigt sich auch mit dem faschistischen Gedankengut und dem Popu­lis­mus damals wie heute und stellt den Bezug zur aktuellen politischen Situation in Deutschland, Österreich und Europa her.

Das Jakoberhaus – Die Deportation Kärntner ­Slowenen in das Lager Hagenbüchach
ISBN-Code: ISBN: 978-3-87707-110-6

Autor: Bertram Schacher
Meisenweg 14, 90617 Puschendorf
E-Mail: bertram.schacher@gmx.de
homepage: www.bertram-schacher.de

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